„Ein Baum schreibt Geschichte“ oder „Es war einmal ...“

 

(Auszug aus der Rede von Alois Häussler, Vorstand der Realgemeinde Unterkirchberg, anlässlich der Jahresversammlung der Realgemeinde im März 2006)

 

„ Es war einmal – so fängt eigentlich jedes Märchen an. „Es war einmal ...“, so will ich auch heute beginnen, von dem, was einst war.

Es war kurz nach dem Kriege – ich selber war damals um die 22. Der damalige Vorstand der Realgemeinde Karl Sättele kam auf mich zu und sagte zu mir: „Komm mit mir, ich will Dir die Schönste im Land zeigen und sagen, wie weit Du gehen darfst.“

Nach 3-jähriger Abwesenheit als Soldat im Krieg war ich natürlich gespannt, wer wohl die Schönste in Unterkirchberg sei. Ein bildsauberes Mädel ging mir durch den Kopf, aber oh weh, ich habe mich geirrt. Sättele meinte mit seinen Worten die schönste Eiche im Realwald. Mit den Worten: „Ich will Dir zeigen, wie weit Du gehen darfst“, meinte er die Grenzen zum Nachbarwald. Die schönste aller Eichen steht dicht an Nachbars Grundstück. Gemeinsam ging es zu dieser Eiche, die wirklich was Außergewöhnliches darstellte. Gerade gewachsen, mehrere Meter ohne Ast – was will man noch mehr. Sättele hatte die Eiche schon jahrelang im Auge. Die Eiche sollte sein Baum werden. Als Vorstand ist man natürlich stolz, so ein Superstück verkaufen zu können. Immer wieder sagte Sättele: „Im nächsten Winter muss sie dran glauben.“ Doch alljährlich bekam die Eiche eine Gnadenfrist. Die Eiche durfte weiterleben. 1957 trat Sättele altersbedingt als Vorstand der Realgemeinde zurück. Die Eiche stand immer noch. Für Karl Sättele wurde Hubert Kaifel zum neuen Vorstand der Realgemeinde gewählt. Stolz war Hubert Kaifel auf die Eiche, die er von seinem Schwiegervater geerbt hatte. Hubert Kaifel sagte oft zu mir: „Die Eiche, die eigentlich mein Schwiegervater fällen wollte, ist nun mein.“ Sein war sie eigentlich nur zum Ansehen.

Fast zu schön, hieß es jedes Jahr, den wunderschönen Baum umzusägen. Die Jahre vergingen – Hubert Kaifel musste 1978 sterben. Die Eiche durfte weiterleben. 1978 wurde ich zum Vorstand gewählt. Sollte dieser Baum nun mein sein? Die Jahre gingen wie im Flug, die Eiche durfte nochmals 27 Jahre weiterleben. 60 Jahre – eine lange Zeit – sind vergangen, seit ich mit Sättele zum ersten Mal bei der Eiche stand. Sollte der Baum wirklich mein sein, dann wäre die Zeit gekommen, dieses Superstück zu fällen. Dies geschah auch am 09.12.2005. „Warum wohl?“, so kann die berechtigte Frage gestellt werden. Wie beim Menschen – so auch beim Baum., das hohe Alter lässt sich nicht verbergen. Am Fuße der Eiche zeigten sich Fäulnisstellen, in der Krone drohte der Baum abzusterben. Die Eiche kam dann nach Langenau und wartete auf einen Käufer und wir auf’s große Geld.

 

Wie alt war wohl diese Eiche? Wer hatte sie gepflanzt und wie kam die Realgemeinde zu diesem Baum? Beides kann ich beantworten.

Das Alter lässt sich ja an den Jahresringen feststellen, meiner Schätzung nach über 200 Jahre. Wie kommt die Realgemeinde zu diesem Baum? Hier muss ich zurückgehen bis ins Jahr 1784. Wiederum muss ich sagen, wie am Anfang meines Vortrags: „Es war einmal ...!“ Die Realgemeinde war einmal Miteigentümer des Waldteils Weithart. Der Waldteil Weithart war ein Gemeinschaftswald, an dem es 7 Anteilsberechtigte gab. Dies waren Altheim – Buch – Essendorf – Fischbach – Harthausen – Mussingen – Unterkirchberg und Weiler (hier ist Unterweiler gemeint). Der Waldteil Weithart diente hauptsächlich als Weideland. Weiter war jedem Nutzungsberechtigtem erlaubt, das Holz, das er für sich brauchte, dort zu holen. Gebote und Verbote wurden dabei nicht beachtet. Es wurde blindlings Raubbau getrieben, der lückenhafte Wald vollends verwüstet. Geschrieben steht, dass „Holz gemacht“ wurde, der Erlös anschließend im Wirtshaus verzecht wurde (Mussingen). Für „verzecht“ gibt es ja ein anderes Wort. Ich traue es mich nicht zu sagen, will ja schließlich auch mal wieder nach Mussingen kommen. Um dem Unfug ein Ende zu machen, wurde beschlossen, den Wald in 99 Teile aufzuteilen. Die Aufteilung erfolgte am 16. Juli 1784. Altheim bekam dabei 15, Buch 14, Essendorf 15, Fischbach 6 ½, Harthausen ebenfalls 6 ½, Mussingen 8, Unterkirchberg 20 und Weiler 14 Teile. Zum Mussinger Teil möchte ich sagen, alles „versoffen“ hatten sie scheinbar nicht. Sie verteilten ihre Anteile vom Weithart im Jahre 1858. Zum Unterkirchberger Teil ist zu sagen, dass die Nutzungsberechtigten von Altheim das Weiderecht im Unterkirchberger Teil hatten. Es ist gut zu verstehen, dass dort, wo das Vieh und die Schweine weideten, kein oder kaum ein Baum aufkam. Die zugeteilte Größe des Waldes betrug bestockter Wald 22 Morgen, Wiesen waren es 4 ¾ Morgen, zusammen 27 Morgen. Trotz der Aufteilung wurden die Realberechtigten nicht glücklich. Das Weiderecht von Altheim machte schwer zu schaffen. Von Seiten der Realberechtigten wurde daher ein Tausch Weithart gegen Pfarrhalde angestrebt. Doch so einfach ging dies nicht. Schwierigkeiten machte dabei das Kloster Wiblingen. Jahrelang stellte das Kloster Rechtsansprüche auf das Grundstück Weithart. Dem damaligen Grafen von Oberkirchberg ist es zu verdanken, dass das weggemessene Teilstück vom Weithart eindeutig den Realberechtigten aus Unterkirchberg zugesprochen wurde.

Weitere Schwierigkeiten bereitete das königliche Oberamt Laupheim. Hier wurde die Frage aufgeworfen, ob die Realberechtigten überhaupt rechtsmäßige Eigentümer des Waldes im Weithart waren oder, ob dies nicht vielmehr die politische Gemeinde von Unterkirchberg sei. Es gab in der Folge Verhandlungen und Erklärungen von verschiedenen Seiten. Das Ergebnis: Die Realberechtigten von Unterkirchberg sind eindeutig Eigentümer des Waldes. Schließlich konnte am 20. März 1852 ein Tauschvertrag unterzeichnet werden.

Was ist von Seiten der Realgemeinde heute dazu zu sagen? „Weithart, Du warst mal unser, ja, es war einmal“.

Ein paar Worte zum damaligen neuen Waldteil Pfarrhalde:

Die Größe des neuen Waldteils Pfarrhalde ist angegeben mit 35 Morgen und 31 Ruthen – 1 Ruthe =165 Schuh. Die Pfarrhalde war also 8 Morgen größer als der Teil vom Weithart.

Wie groß ist dieser Waldteil wohl heute noch?

Jahrelang wurde durch die Iller von der Pfarrhalde etwas weggeschwemmt. Der Wald wurde somit kleiner. Durch die Begradigung der Iller in den Jahren 1870 bis 1876 wurde die Macht des Gebirgsflusses wesentlich eingeschränkt. Der Mehrwert Pfarrhalde gegenüber Weithart betrug 900 Gulden – ferner mussten noch mehr Zugeständnisse gemacht werden. Darüber ist wenig geschrieben, weil der damalige Schultheiß, der zugleich Vorstand der Realgemeinde war, nicht sehr schreibkundig war.

Von wem kommt die Pfarrhalde?

Oft wird angenommen, dass sie einmal im Besitz der Kirche oder des Klosters Wiblingen war. Beides stimmt nicht. Die Pfarrhalde war vor uns Staatswald und somit die beschriebene Eiche eine Staatseiche vom Standort und der Schönheit her.

Wer hat die Eiche wohl gepflanzt?

Es wird wohl der Staat gewesen sein. Mit Sicherheit war es nicht die Realgemeinde. Die Realgemeinde gibt es ja erst seit 154 Jahren, der Baum war aber 200 Jahre und älter.

Lieber Leser, verstehen Sie jetzt vielleicht, warum der Tausch seitens der Realgemeinde angestrebt wurde?: Weithart wohl ohne Bäume gegen die Pfarrhalde mit schönem Jungbestand.“

 

.......................und zum Schluss der Jahresversammlung meinte Alois Häussler:

 

„Hätte ich immer schon gewusst, was ich erst seit kurzem weiß, dann hätten wir vor 4 Jahren 150 Jahre Pfarrhalde gefeiert; vielleicht klappt`s zur 200-Jahr-Feier. Noch 46 Jahre, dann ist es soweit. Bis dorthin alles Gute und bleibet gesund bis zum 20. März 2052.“